Bis 2050 wird die Zahl der Toten aufgrund antimikrobieller Resistenzen (AMR) die Zahl der Krebstoten übersteigen.1 Substanzen wie das in den 1980er Jahren von Beechem Pharmaceuticals entwickelte β-Lactam Temocillin wurden früher wegen ihres zu schmalen Wirkspektrums aussortiert. Heute gewinnen sie zunehmend an Bedeutung, da durch die gezielte Therapie im Sinne des Antibiotic Stewardship die Resistenzausweitung gebremst werden soll. So kann möglicherweise durch eine gezielte Therapie mit Temocillin (Temopen®) der starken Zunahme der Multiresistenzen bei gramnegativen Stäbchenbakterien entgegengewirkt werden.

Das schmale Wirkspektrum des Temocillin umfasst die meisten gramnegativen Bakterien (Enterobacterales wie Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae, Enterobacter uvm., Haemophilus, Pasteurella, Moraxella, Neisseria, Vibro, Burkholderia cepacia) mit der Ausnahme von Pseudomonas aeruginosa, Acinetobacter und Stenotrophomonas. Temocillin ist bakterizid. Es ermöglicht eine gezielte, wirkungsvolle Therapie im Sinne des Antibiotic Stewardship. Dennoch werden relevante nosokomiale Infektionen wie

  • komplizierte Harnwegsinfektionen und akute Nierenbeckenentzündung
  • Infektionen der unteren Atemwege (einschließlich Pneumonie)
  • akute Haut- und Weichteilinfektionen
  • in Zusammenhang mit einer der oben genannten Infektionen auftretende Bakteriämie

ohne Altersbeschränkung ab Geburt adressiert.2, 3 Ebenso vielseitig sind die Applikationsmöglichkeiten. Temocillin ist für die i.m. sowie i.v. Injektion und die kontinuierliche sowie intermittierende i.v. Infusion zugelassen und kann mit einer Vielzahl in der Klinik gebräuchlicher Lösungsmittel verabreicht werden.2

Die Plasmahalbwertszeit des Temocillin beträgt bei nierengesunden Patienten etwa 4,5 Stunden.2 Die Konzentration in Serum und Gewebe ist hoch genug, um eine zweimal tägliche Dosierung zu ermöglichen.2 Außerdem ist die Penetration von Temocillin in Galle und Peritonealflüssigkeit hoch, in die Liquorflüssigkeit jedoch gering.4 Die Elimination erfolgt größtenteils in unveränderter Form renal. Bei Niereninsuffizienz ist daher je nach Schwere der Erkrankung die Dosierung anzupassen.2

Effektive Therapie von MRGN

Unter den gramnegativen Stäbchenbakterien sind unterschiedliche Resistenzmechanismen – z. B. die Produktion von ESBL (Extended Spectrum b-Lactamase), AmpC-b-Lactamasen, Carbapenemasen – zu beobachten, was unter anderem auf den starken Einsatz von Cephalosporinen der 3. Generation (3.GC) zurückzuführen ist. In den letzten beiden Jahrzehnten haben sich weltweit zunehmend problematische nosokomiale Infektionen mit multiresistenten gram­nega­tiven Bakterien (MRGN) verbreitet, sodass alternative Therapieoptionen mit Schmalspektrum-Antibiotika an Bedeutung gewinnen.5 Temocillin erfasst bei Bakteriämien und Harnwegsinfektionen mehr als 95% der 3.GC-resistenten E. coli sowie über 90% der 3.GC-resistenten Klebsiella pneumoniae in Deutschland.5, 6 Durch die Methoxygruppe am b-Lactamring (abgeleitet vom Ticarcillin) ist Temocillin besonders stabil gegen die Hydrolyse durch β-Lactamasen, inklusive ESBL und AmpC.6 Viele OXA- und einige Klebsiella-pneumoniae-Carbapenemasen(KPC)-Bildner werden im Wirkspektrum effizient erfasst. OXA-48-like β-Lactamasen hydrolysieren Temocillin.4 Gleichzeitig erwies sich Temocillin als signifikant weniger selektiv für Resistenzen als Cephalosporine der dritten Generation.5 Auch aufgrund dieser ausbleibenden Resistenzselektion erwies sich die Substanz in Schweden7 und den Niederlanden8 als kosteneffizient.

Als Therapie der ersten Wahl bei ESBL-E. coli hat in den letzten 20 Jahren der Einsatz von Carbapenemen stark zugenommen9, sodass zur Vermeidung von Carbapenem-Resistenzen alternative Therapieoptionen benötigt werden. Carbapeneme lassen sich bspw. mit gleicher klinischer Wirksamkeit bei ESBL-Harnwegsinfekten mit Enterobacterales sinnvoll durch Temocillin ersetzen.7, 10 So empfiehlt die deutsche S2k-Leitlinie zur kalkulierten Therapie bei ESBL-bildenden Enterobacteriaceae Temocillin bei Pneumonie, Sepsis, intraabdominellen Infektionen und komplizierten Harnwegsinfekten.11

Mikrobiom schonende Behandlung

P. aeruginosa, Acinetobacter, Stenotrophomonas, grampositive Bakterien und Anaerobier werden durch Temocillin hingegen nicht erfasst. Dadurch hat Temocillin einen geringen Einfluss auf das Darm­mikro­biom und es kommt zu weniger kollateralen Schäden wie Clostridioides-difficile-Infektionen (CDI) und schweren Diarrhoen im Vergleich zur Behandlung mit Breitspektrumantibiotika.12, 13 Die Kosten im Gesundheitswesen und der Ressourcenverbrauch durch CDI sind beträchtlich, vor allem wegen der höheren stationären Versorgungs­kosten durch längere Krankenhausaufenthalte.14, 15 Um diese Kosten und die damit verbundenen Folgekosten für Patienten und das Gesundheitssystem zu reduzieren, kann die gezielte, schmale antimikrobielle Therapie eingesetzt werden.14, 15

Das darmassoziierte lymphatische Gewebe (GALT) und das damit physiologisch verbundene Darmmikrobiom spielen für das Immunsystem eine entscheidende Rolle16, sodass das Mikrobiom möglichst wenig durch Antibiotikatherapien beeinflusst werden sollte. Der Einsatz von Temocillin ist daher besonders bei entsprechenden Risiko­patienten sinnvoll und trotz höherer Tagestherapiekosten kosten­effizient im Vergleich zu den mittlerweile sehr günstigen Breitspektrum­wirkstoffen.10

Fazit

Angesichts der wachsenden Bedrohung durch antimikrobielle Resis­tenzen ist ein gezielter, möglicherweise patientenindividueller Einsatz von Schmalspektrum-Antibiotika wie z. B. dem gegen gramnegative Enterobacterales wirksamen Temocillin (Temopen®) von großer Bedeutung. Es ist entscheidend, dass diese Antibiotika von der pharmazeutischen Industrie verfügbar gemacht werden und das Antibiotic Stewardship nicht dem Kostendruck im Gesundheitswesen zum Opfer fällt.

(mk)

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1 O´Neill J. Tackling Drug-Resistant Infections Globally; https://amr-review.org/sites/default/files/160518_Final%20paper_with%20cover.pdf [Abruf: 24.07.2023]
2 Fachinformation Temopen, Stand 06/2021
3 Livermore DM, Hope R et al. J Antimicrob Chemother 2006; 57(5): 1012–14
4 Alexandre K & Fantin B. Clin Pharmacokinet, 2018; 57(3): 287–96
5 Edlund C, Ternhag A et al., The Lancet Infect Dis 2022; 22(3): 390–400
6 Kresken M, Pfeiffer Y et al., GMS Infect Dis, 2021; 9: Doc08
7 Larsson S, Edlund C et al. Applied Health Economics and Health Policy. DOI: 10.1007
8 Nguyen, CP; Dan, Do TN et al. Int J Antimicrob Agents 2019; 54 (6): 790–797
9 https://eu-burden.info/sari/auswertung/pages/carba.php
10 Delory T, Gravier S et al., Int J Antimicrob Agents 2021; 58(1): 1063611)
11 S2k Leitlinie: Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – Update 2018, 2. aktualisierte Version, erstellt am 25. Juli 2019; AWMF-Register. 82-006/s40258-022-00748-7
12 Habayeb H, Sajin B et al. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2015; 34: 1693–99
13 Mittermayer HW. Drugs. 1985; 29(Suppl 5): 43–8
14 Le Monnier A, Duburcq A et al. J. Hosp. Infection 2015; 91: 117–22
15 Tresman R & Goldenberg SD. J Antimicrob Chemother 2018; 73(10): 2851–55
16 Mittal M, Coppersmith CM. Trends Mol Med 2014; 20(4): 214–23