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Bereits zum 34. Mal fand vom 10. bis 12. April 2024 der „Biotest Wilsede-Workshop“ in der Lüneburger Heide statt – dieses Jahr erstmalig in dem Hotelcamp Reinsehlen in Schneverdingen. Die ruhige, idyllische Atmosphäre in diesem Naturhotel mit Camp-Charakter bietet einen idealen Rahmen für einen mehrtägigen Workshop. Umgeben von beeindruckender Heidelandschaft, haben sich hier über 80 Medizinerinnen und Mediziner aus Deutschland, Österreich und der Schweiz über aktuelle Themen auf dem Gebiet der Lebertransplantation ausgetauscht.

Die wissenschaftliche Ausrichtung und Leitung übernahm Prof. Dr. Robert Öllinger mit seinem Team von der Chirurgischen Klinik an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Auch in diesem Jahr profitierten die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte wieder von einem wissenschaftlich hochkarätigen Programm und dem interdisziplinären Austausch. Hierbei ging es nicht nur um neueste Ansätze in der Behandlung von Leberer­kran­kungen, sondern auch um neue Impulse für die Interdisziplinarität und Interprofessionalität in der transnationalen Forschung zur bestmöglichen Patientenversorgung.

Themenschwerpunkte des Workshops waren u. a. Allokation, Gender und die pädiatrische Lebertransplantation (LTx) sowie die Ergebnisqualität und Immunsuppression bei der Transplantation von soliden Organen insbesondere der Leber. Darüber hinaus befassten sich die Expertinnen und Experten mit Transplant Oncology und aktuellen Herausforderungen an den interdisziplinären Schnittstellen zwischen Transplantation und der The­ra­pie von Lebererkrankungen. Ein interaktiver Posterwalk und eine Session mit einem Ausblick in die Zukunft von Organtransplantationen rundeten die Veranstaltung ab.

Bilder: Hotelcamp Reinsehlen

Malignome und Immuntherapie nach LTx

Heute sind akute und chronische Abstoßung nach LTx weniger relevant. Die Letalität nach LTx aufgrund immunologischer Probleme hält sich mit etwa 2% in Grenzen, referierte PD Dr. Dennis Eurich, Charité – Universi­tätsmedizin Berlin. Da das Langzeitüberleben von Patienten nach LTx sich weiter verbessert, steigt das individuelle Tumorrisiko im Vergleich zur Normalbevölkerung um das 2- bis 4-Fache, was die Prognose einschränkt. Patienten mit vorherigen hepatozellulären Karzinomen (HCC) oder cholangiozellulären Karzinomen (CCC) erleiden oft Rezidive nach LTx. Wie u. a. eine retrospektive Analyse des Berliner Transplantationszentrums zeigt, lässt sich bei einem rechtzeitig entdeckten Tumorrezidiv (Resektabilität) das Überleben im Vergleich zur Standardsuppression durch eine restriktive Immunsuppression verlängern. Dabei scheint die Rezidivrate mit dem Ausmaß der Immunsuppression, insbesondere mit dem Einsatz von Calcineurin-Inhibitoren (CNI), zu korrelieren.1

Mit den nachfolgenden Risikofaktoren steigt auch die Wahrscheinlichkeit einer De-novo-Tumorentwicklung nach LTx:2

  • Alter
  • männliches Geschlecht
  • HCC in der Vorgeschichte
  • Alkoholische Lebererkrankung
  • Rauchen.

Als beeinflussbarer Faktor spielt die Immunsuppression auch für das De-novo-Tumorrisiko eine zentrale Rolle. Mit kumulativer Tacrolimusdosis erhöht sich überproportional das individuelle Risiko für De-novo-Tumoren.2 Dabei war die frühe CNI-Exposition innerhalb der ersten drei Monate nach LTx entscheidend. Mit Reduktion der frühen Tacrolimusgaben geht proportional das Tumorrisiko zurück, konstatierte Eurich. Zudem scheinen Azathioprin und Antithymozytenglobulin einen pro-kanzerogenen Effekt zu haben, während mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Sirolimus) und Mycophenolat eher neutral wirken. Cave: Das Absetzen der Immunsuppression und die gleichzeitige Applikation von Checkpoint-Hemmern (ICI) führten zu schweren Rejektionen! Ein regelmäßiges Monitoring und besonders die Bildgebung seien hier wichtig, betonte Eurich.

Toleranzentwicklung nach Lebertransplantation

Laut Dr. Steffen Hartleif vom Universitätsklinikum Tübingen gibt es unter den Transplantatempfängern durchaus eine geringe Anzahl sowohl pädiatrischer als auch erwachsener Patienten, die nach einem Weaningprozess ohne Immunsuppression das Leberimplantat längerfristig tolerieren. Das zeigen einige wenige Studien mit kleinen Kohorten. Jedoch sei es schwierig diejenigen Patienten zu identifizieren, die ein Absetzen der Immunsuppression tolerieren würden, so der Kindergastroenterologe und -hepatologe.

Eine systematische Metaanalyse zeigt, dass nur wenige Biomarker zur Identifikation der operativen Toleranz nach LTx geeignet sind.3 Laut Hartleif ist bei pädiatrischen Patienten die Leberbiopsie das einzige nützliche Instrument, um portale Aktivität oder Inflammation zu erkennen. Bei vorhandener Entzündung sind die Patienten für ein Absetzen der Immunsuppression ungeeignet. Bei erwachsenen Empfängern ist portale Inflammation kein Ausschlusskriterium.3 Laut Hartleif ist hier die Genexpres­sion (CDHR2, MIF, PEBP1, SOCS1, TFRC) im Transplantat ein Unterprädiktor für operationale Toleranz. Verschiedene Studien zeigen, dass bei Vorliegen vieler regulatorischer T-Zellen (Treg-Zellen) die Immunsuppression bei adulten Empfängern abgesetzt werden kann.

Ohne Immunsuppression steigt langfristig die Lebensqualität der Transplantierten. Gemäß Studien ergaben sich indes keine Verbesserung der Nierenfunktion oder Reduzierung metabolischer Probleme. Ein Risiko für Abstoßungen bleibe, so Hartleif. Eine 10-Jahresstudie mit 18 pädiatrischen LTx-Patienten ergab, dass 39% ihren Toleranzstatus wieder verloren.4 Das verdeutlicht, dass eine operationale Toleranz ein dynamischer, temporärer Zustand ist, kommentierte der Hepatologe. Eine Wiederaufnahme der Immunsuppression könne nötig werden. Er betonte die Notwendigkeit von Protokollbiopsien.

In der Tübinger pädiatrischen Patientengruppe (n = 494) bleiben erfreulicherweise unter Immunsuppression die meisten stabil, selbst bis 20 Jahre nach der LTx ohne Implantatverlust.5 Jedoch zeigen einige nach 10 Jahren erhebliche Vernarbungen bis hin zur Leberzirrhose. Das Risiko für chronische Transplantat-Inflammationen werfe Fragen zur Angemessenheit der Immunsuppression auf, schloss Hartleif.

Zellbasierte Immunmodulation

Völlig unabhängig von welcher Kohorte – Herz, Leber, Niere, Lunge – entwickeln sich nach soliden Organtransplantationen (SOT) Probleme mit der Langzeittoxizität der lebenslangen Immunsuppression, sagte Prof. Dr. Petra Reinke, Berlin Center for Advanced Therapies (BeCAT) an der Charité. Nach einer SOT komme es zu einer Dysbalance zwischen einer sehr dominanten, etablierten pathogenen T-Zellantwort und den Treg-Zellen, die in der Anzahl innerhalb der Zirkulation vergleichsweise niedrig (< 2%) sind. Treg-Zellen regulieren u. a. die Selbsttoleranz und verhindern die Abstoßung nach SOT. Es wäre ein großer Schritt vorwärts, wenn es gelänge mit einer regulatorischen Zelltherapie die Immunsuppression und ihr Nebenwirkungsspektrum zu minimieren, so die Nephrologin.

Das One-Studienkonsortium initiierte hierzu sieben multinationale einarmige, nicht-randomisierte Studien zur regulatorischen Zelltherapie nach Nierentransplantation (KTx).6 In der „The One Study“ Berlin wurden natürliche Treg-Zellen (nTreg) aus dem Blut der Patienten isoliert. Sieben Tage nach der KTx (Lebendspende) erhielten die Patienten einmalig eine Infusion von 0,5, 1,0 oder 2,5–3,0×106 nTreg-Zellen/kg BW.7 Danach wurde die Dreifach-Immunsuppression schrittweise auf eine niedrig dosierte Tacrolimus-Monotherapie bis Woche 48 reduziert. Es trat keine dosislimitierende Toxizität auf. Die Verum- und Referenzgruppen hatten ein dreijähriges Allotransplantat-Überleben von 100% und ähnliche Sicherheitsprofile. Eine stabile Mono-Immunsuppression wurde bei 8 von 11 (73%) Patienten erreicht, während die Referenzgruppe bei ihrer Immunsuppression blieb.7 Es zeigte sich laut Reinke unter Mono-Therapie eine niedrigere Inzidenz von Infektionen, keine signifikante Virusreaktivierung und keine signi­fikan­te Tumorentwicklung. Die Nephrologin konstatierte, dass diese Ergebnisse die Basis für die Entwicklung von weiteren nTreg-Therapieansätzen bei Transplantationen und Immunpathologien bilden.

Nach Überwindung regulatorischer und pharmakologischer Hürden stehen nun autologe Tacrolimus-resistente, angereicherte nTreg-Präparationen (TregTacRes) zur Verfügung. Reinke gab einen Ausblick auf die laufende offene, nicht-randomisierte, aktiv kontrollierte, erste First-in-Class und First-in-Human Studie „TregTacRes21“. Diese untersucht die Sicherheit und Verträglichkeit von TregTacRes als Zusatztherapie bei lebend­gespendeten Nieren­empfängern. Wegen der Vergleichbarkeit entsprechen das Design und die Dosierungen denen der The One Studie. Da die TregTacRes-Zellen insgesamt nach Reinkes Worten effektiver und fitter sind, wird aus Sicherheitsgründen zusätzlich mit einer niedrigeren Dosis von 0,25×106 nTreg-Zellen/kg BW die Therapie begonnen.

Neue Ansätze für die Immunsuppression

In deutschen und internationalen Zentren existieren keine einheitlichen Standards für die Immunsuppression in der Frühphase nach einer Transplantation, und die Handhabung variiert stark zwischen den Zentren, berichtete Prof. Dr. Hans J. Schlitt, Universitätsklinikum Regensburg. De facto geschehe eher eine relative Über-Immunsuppression bei fast allen Transplantationspatienten mit resultierender kumulativer Toxizität und Nebenwirkungen.

Schlitt wies auf den Torque-Teno-Virus (TTV) hin, ein regulär beim Menschen vorhandenes apathogenes Virus. Da dessen Titer vom Immunstatus abhängig ist, habe dieser als potenzieller Marker für die Steuerung der Immunsuppression, die Vorhersage der Transplantatabstoßung und als Indikator für opportunistische Infektionen Aufmerksamkeit erregt.8 Schlitt berichtete, dass in Regensburg bereits bei Lebertransplantierten wöchentlich bis zu zehn Monitorings mit TTV-Titermessungen durchgeführt werden.

Derzeit laufen international zahlreiche Studien, die sich mit der Immunmodulation durch verschiedene Zelltypen nach Transplantationen befassen. In Regensburg wird ein Ansatz mit der extrakorporalen Photopherese (ECP) verfolgt, bei dem von Patienten entnommene Zellen extrakorporal behandelt werden. Dazu gibt es eine Wiener Pilotstudie im Rahmen von Herztransplantationen.9

Eine alternative Tacrolimus-Formulierung (LCPT, Envarsus®) zeichnet sich durch eine flachere Kinetik des Blutspiegels und einen späteren Konzentrationspeak aus. Die laufende randomisierte EnGraft-Studie vergleicht die Bioverfügbarkeit und testet die Überlegenheit von LCPT gegenüber Advagraf™ bei 268 Lebertransplantierten aus 15 deutschen Transplantationszentren.10 Der primäre Endpunkt ist der dosisnormalisierte Talspiegel (C/D-Verhältnis) nach 12 Wochen. Sekundäre Endpunkte umfassen die Anzahl der Dosisanpassungen, die Zeit bis zum ersten Talspiegel und die Inzidenz von Transplantatabstoßungen, sowie klinische und Laborparameter über drei Jahre. Die verbesserte Bioverfügbarkeit von LCPT könnte möglicherweise Nierenfunktionsstörungen und andere Tacrolimus-bedingte Toxizitäten reduzieren und die klinischen Ergebnisse für Lebertransplantationsempfänger verbessern. Im Januar wurden alle primären Endpunkte erreicht. Weitere Daten werden laut Schlitt in den nächsten Monaten erwartet: Es bleibe spannend, ob signifikante Fortschritte erzielt werden können.

(mk)

Save the Date: 35. Biotest Wilsede-Work­shop am 14.–16. Mai 2025, www.biotest-wilsede.de

1 Saidy RR, Postel MP et al. Cancers (Basel). 2021; 13(7): 1617. DOI: 10.3390/cancers13071617
2 Rodríguez-Perálvarez M, Colmenero J et al. Am J Transplant. 2022; 22(6): 1671–82. DOI: 10.1111/ajt.17021
3 Appenzeller-Herzog C, Hartleif S, Vionnet J. Am J Transplant. 2021; 21(10): 3312–23. DOI: 10.1111/ajt.16585
4 Wozniak LJ, Venick RS et al. Liver Transpl. 2022; 28(10): 1640–50.DOI: 10.1002/lt.26474
5 Hartleif S, Hodson J et al.; Graft Injury Group (GIG). Transplantation. 2023; 107(11): 2394–05. DOI: 10.1097/TP.0000000000004603
6 Sawitzki B, Harden PN et al. Lancet. 2020; 395(10237): 1627–39. DOI: 10.1016/S0140-6736(20)30167-7
7 Roemhild A, Otto NM G et al. BMJ. 2020; 371: m3734. DOI: 10.1136/bmj.m3734
8 Kuczai A, Przybylowski P et al. Viruses. 2024; 16(1): 17. DOI: 10.3390/v16010017
9 Gökler J, Alibadi-Zuckermann A et al. Transpl Int. 2022; 10320. DOI: 10.3389/ti.2022.10320
10 Woehl DS, James B et al. (EnGraft Trial Group), Trials 2023; 24(1): 325. DOI: 10.1186/s13063-023-07344-7