ADRIAN GILLISSEN

Unter der Kategorie interstitielle Lungenerkrankungen (ILDs) werden Erkrankungen mit einem diffusen parenchymalen Befall der Lunge zusammengefasst, deren Charakteristikum eine Entzündung des Lungengewebes, der Alveolen mit/ohne Beteiligung der Bronchiolen bzw. mit/ohne Ausbildung einer Fibrose ist. Es wurden über 150 verschiedene ILDs beschrieben. Abbildung 1 stellt die häufigsten und wichtigsten dar. Die exakte radio-morphologische oder histologische Diag­nostik ist Voraussetzung für die Therapieentscheidung und die Prognoseabschätzung.1 Letztere hängt wesentlich von dem konkreten Typ der interstitiellen Lungenerkrankung (ILD), dem Auslöser, vom Therapieansprechen und von dem Eintreten einer Exazerbation (AE-ILD) ab. Letztere ist mit einer Letalitätsrate von 50–80% und einem medialen Überleben von lediglich 3 bis 4 Monaten assoziiert.2, 3

Prof. Dr. med. Adrian Gillissen, M.Sc., Med. Klinik III, Kreiskliniken Reutlingen

Definition, Auslöser und Klinik

Die ILD-Exazerbation wird definiert als eine Dyspnoezunahme innerhalb eines 30-Tageszeitraums, neuen bilateralen milchglasartigen Veränderungen im CT-Thoraxbild, die auf eine intersitielle Pneumonie oder eine akute Alveolitis hinweisen, und Symptomen, die nicht durch z. B. ein Lungenoedem erklärt werden können.3 Das Aus­maß der CT-morphologischen Veränderungen korreliert dabei mit der klinischen Patientenpräsentation (Abb. 2). Diese deskriptive Defini­tion berücksichtigt allerdings keinen Verursacher. Mögliche Auslöser sind z. B. eine Infektion, eine inhalative die Exazerbation auslösende Exposition (Gase, Stäube), immunologische und toxische (Medika­mente), einer Aspiration/Mikroaspiration, längere Gabe einer hohen Sauerstoffkonzentration (100% FiO2) oder nach einem medizi­nischen Eingriff (Lungenbiopsieentnahme, broncho-alveoläre Lavage).4 Patienten mit einer ILD erleiden relativ häufig eine AE-ILD, z. B. bis zu 20% aller Betroffenen mit einer idiopatischen Lungen­fibrose (IPF) und 4,4% bis 19% bei allen ILDs zusammen.5, 6

Klinisch klagen die Patienten dabei über eine Dyspnoezunahme in­ner­halb von Tagen bis wenigen Wochen, die zu einer schweren Ein­schrän­kung ihrer bisherigen physischen Aktivität führt. Sie ent­wickeln im Ausprägungsgrad unterschiedlich einen ausgeprägten Hus­ten, Auswurf, Fieber, Influenza-ähnliche Symptome, Zeichen einer Rechtsherzinsuffizienz mit Zyanose. Die Blutgasanalyse bzw. die Sauerstoff­sätti­gung bestätigt dann das Vorliegen einer schweren Hypoxie (PaO2/FiO2 < 225 oder ein Abfall des PaO2 > 10mmHg), die u. U. eine weitere intensivmedizinische Versorgung der Betroffenen erfordert.
Diese Symptome und die Hypoxie können allerdings auch bei anderen akuten Erkrankungen auftreten, weswegen die AE-ILD von Differentialdiagnosen, wie einem akuten Mykardinfakrt, einer Lunge­nembolie, einem Pneumothorax oder einem Herzversagen mit einem Lungen­oedem abgegrenzt werden muss.

 

Abb. 1: Einteilung der interstitiellen Lungenerkrankungen (ILDs). iNSIP: idiopathische unspezifische interstitielle Pneumonie, iPPFE = ideopatische pleuroparenchymale Fibroelastose, iDIP = idiopathische desquamative interstitielle Pneumonie, AFOP = akute fibrinöse und organisierende Pneumonie, COP = kryptogene organisierende Pneumonie, iLIP = idiopathische lymphoide interstitielle Pneumonie, AIP = akute interstitielle Pneumonie, Eos = eosinophile Pneumonie (keine eigene idiopathische interstitielle Pneumonie). [Modifiziert nach Raghu et al. IPF Guideline AJRCCM 20221]

Therapie

Die schlechte Nachricht: Es gibt keine spezifische Therapie der AE-ILD! Entsprechend geben nationale und internationale ILD-Leitlinien nur eine schwache Therapieempfehlung für bestimmte Medikamentengruppen.1, 7, 8 Mögliche Therapieoptionen können wie folgt zusammengefasst werden. Therapie
a) des Auslösers, sofern bekannt,
b) der die ILD aggravierenden Begleiterkrankungen, z. B. die einer Rechtsherzinsuffizienz,
c) der respiratorischen Insuffizienz, z. B. der typischerweise dominie­renden Hypoxie durch hohe nasale Sauerstoffdosen inkl. einer High-flow-Sauerstofftherapie.

Leitlinien geben nur eine schwache Empfehlung zum Einsatz von hoch dosierten systemischen Kortikosteroiden, ohne dabei genaue Angaben zur Dosis und Therapiedauer zu machen, oder einer antimikrobiellen Therapie. Erstere wurden in Dosen von 500mg bis 1.000 mg über 3 Tage durchgeführt.9 Letztere ist nur indiziert bei Verdacht oder Nachweis einer bakteriell verursachten AE-ILD und sollte sich am besten an die Empfehlungen zur Therapie der ambulant erworbenen Pneumonie richten.10, 11 Ob eine vorher bestehende antifibrotische Therapie wieder fortgesetzt oder unterbrochen werden soll, ist unklar. In kleineren meist monozentrischen oder retros­pek­tiven Studien wurden entweder als Monotherapeutikum oder in Kombination mit systemischen Kortikosteroiden Tacrolimus, Cyclosporin, Retuximab, PMX, Thrombomodulin (i.v.) und Cyclophosphamid evaluiert. Die meisten berichten über positive Effekte auf die Oxygenierung oder das Überleben. Deren praktische Wertigkeit bleibt aber zu hinterfragen, da große placebokontrollierte Multicenter­studien fehlen. Cyclophosphamid in Kombination mit systemischen Kortikosteroiden erhöhen sogar die 3-Monatssterblichkeit.4, 12

Supportiv können Opioide zur Dämpfung des Dyspnoeempfindens gegeben werden.1 Bei einer geschätzten Hospitalletalität von ca. 90% sind Leitlinien in Bezug auf eine mechanische Beatmung zurückhaltend. Auch die Indikation für eine nicht-invasive Beatmung muss individuell im Rahmen einer kritischen Nutzen-Risikoabwägung, in Abstimmung mit dem behandelnden Arzt, dem Patienten und ggf. seiner Familie gestellt werden. Die Intubation und mechanische Ventilation sowie die extrakorporale Ventilation kann in sehr selektionierten Patienten als Brückenverfahren für eine Lungentransplantation Anwendung finden. Alleine die mechanische Ventilation hat eine Letalitätsrate von 50% bis 60%.13, 14

Prophylaxe

Schon länger ist bekannt, dass Antazida das Potenzial besitzen AE-ILDs zu reduzieren.15 Gleiches gilt auch für die antifibrotisch wir­kenden Subs­tanzen Nintedanib und Pirfenidon. Patienten mit einer Pirfenidon-Therapie haben ein geringeres Risiko wegen einer respiratorischen Insuffizienz ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, als die Placebo-Kontrollen. Zudem reduziert es die Wahrscheinlichkeit einer post-operativen AE-ILD.16–18 Pirfenidon führte zu einer Verlängerung bis zur ersten AE-ILD.19 Keinen klinischen Effekt besitzen hingegen Acetylcystein, Sildenafil, Bosentan, Interferon-γ, Cumarine, Ambrisentan, Imatinib und auch nicht die 3-fach-Kombination Steroid-Acetylcystein-Azathioprin.

Fazit

Die AE-ILD ist eine schwerwiegende Komplikation einer ohnehin schweren Erkrankung. Es gibt hierfür keine solide Therapie­em­pfehlung und auch keine pharmakologische Substanz mit nachgewiesener hoher Effektivität. Meistens werden in dieser Situation systemische Kortikosteroide und bei einem bakteriellen Effekt Antibiotika eingesetzt. Sauerstoffgaben sollen die dabei charakteristische Hypoxie ausgleichen. Ansonsten verbleibt nur die Therapie der Begleiterkrankungen, z. B. die einer Rechtsherzinsuffizienz. Die Indikation zur nicht-invasiven oder invasiven Beatmung muss individuell kritisch gegenüber dem zu erwartenden Nutzen, bei in dieser Situation hoher Letalitätswahrscheinlichkeit abgewogen werden.

Autor:
Prof. Dr. med. Adrian Gillissen, M.Sc. (federführend), Med. Klinik III, Kreiskliniken Reutlingen, Steinenberg Straße 31, 72764 Reulingen, www.kreiskliniken-reutlingen.de

Abb. 2: HRCT-Thorax einer idiopathischen Lungenerkrankung mit UIP(usual intersitial pneumonia)-Muster entsprechend einer idiopathischen Lungenfibrose (IPF); A) koronare, B) axiale Schnittführung.

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1 Raghu G, Remy-Jardin M et al. Respir Crit Care Med 2022; 205(9): e18–47
2 Collard HR, Yow E et al. Respir Res 2013; 14: 73
3 Collard HR, Ryerson CJ et al. Respir Crit Care Med 2016; 194: 265–75
4 Amundson WH, Racila E et al. Respir Med 2019; 150: 30–37
5 Kolb M, Bondue B et al. Eur Respir Rev Off J Eur Respir Soc 2018; 27: 180071
6 Kershaw CD, Batra K et al. Respir Med 2021; 183: 106400
7 Behr J, Günther A et al. Pneumol Stuttg Ger 2018; 72: 155–68
8 National Institute for Health and Care Excellence (NICE) Clinical Guideline. London; 2017
9 Collard HR, Moore BB et al. Respir Crit Care Med 2007; 176: 636–43
10 Petnak T, Lertjitbanjong P et al. Chest 2021; 160: 1751–63
11 Ewig S, Kolditz M et al. Pneumologie 2021; 75: 665–729
12 Naccache J-M, Jouneau S et al. Lancet Respir Med 2022; 10: 26–34
13 Bozso S, Sidhu S et al. Transplant Proc 2015; 47: 186–89
14 Rush B, Wiskar K et al. Respir Med 2016; 111: 72–76
15 Lee JS, Collard HR et al. Lancet Respir Med 2013; 1: 369–76
16 Vianello A, Molena B et al. Curr Med Res Opin 2019; 35: 1187–90
17 Ley B, Swigris J et al. Respir Crit Care Med 2017; 196: 756–61
18 Iwata T, Yoshida S et al. Surg Today 2015; 45: 1263–70
19 Costabel U, Inoue Y et al. Respir Crit Care Med 2016; 193: 178–85