DOMINIC DELLWEG
Für COPD-Patienten gilt: nichtinvasive Beatmung ist sowohl bei chronisch stabiler Hyperkapnie1 sowie bei akuter Exazerbation mit neu aufgetretener Hyperkapnie2 die Therapie der Wahl und vermindert hier die Mortalität. Unklar war aber bisher, wie nach einer akuten Exazerbation und akut eingeleiteter NIV-Therapie mit diesem Verfahren umgegangen wird. Dieser Artikel gibt Ihnen einen praktischen Lösungsansatz für dieses Dilemma.
NIV bei chronisch stabiler Hyperkapnie
Seit der Publikation der Köhnlein-Studie 20141 wurde klar, dass bei COPD-Patienten mit chronischer stabiler und kompensierter Hyperkapnie mit Durchführung einer effektiven, d. h. mit ausreichend hohem Druckniveau betriebenen, nichtinvasiven Beatmung die Mortalität gesenkt werden kann. Die Number needed to treat (NNT) liegt im Anwendungsbereich bei 5, d. h. es müssen 5 Patienten über einen Zeitraum von 1 Jahr behandelt werden, um 1 Todesfall zu verhindern. Vergleicht man dies z. B. mit der Effektivität von Lipid sen kern in der Primärprophylaxe, wo die NNT deutlich im Bereich über 1.000 liegt3, so wird schnell deutlich, dass es sich bei der NIV nicht nur um eine effektive, sondern vergleichsweise auch kostengünstige Behandlungsform handelt.
Akute Exazerbation mit respiratorischer Azidose
Auch hier zeigt sich eine ausgesprochen gute Effektivität der nichtinvasiven Beatmung, in einer im Jahr 2017 durchgeführten CochraneAnalyse zeigt sich eine NNT von 5 für die Vermeidung einer Intu bation sowie eine NNT von 12 zur Vermeidung eines Todesfalles.2
NIV nach Exazerbation?
Große epidemiologische Studien aus der Ära vor der nichtinvasiven Beatmung zeigen, dass die 1-Jahressterblichkeit nach durchgemachter hyperkapnischer Exazerbation im Bereich von etwa 50% liegt.4,5 Es stellte sich also die Frage, ob sich das Überleben durch die Fortset zung einer nichtinvasiven Beatmung nach Exazerbation verbessern ließe. Dieser Frage widmete sich die holländische Arbeitsgruppe um Fransien Struik.6 Sie konnten zeigen, dass bei Patienten, bei denen nach akuter Exazerbation noch eine leichtgradige kompensierte Hyperkapnie (pCO2 52mmHg, pH 7,44) bestand, eine über 1 Jahr durchgeführt nichtinvasive Beatmungstherapie im Vergleich zur Kontrollgruppe keinen Überlebensvorteil erbrachte. Bemerkenswert war aber in dieser Studie, dass sowohl die NIV-therapierten als auch die sich in der Kontrollgruppe befindenden Patienten nach 3 Monaten keine Hyperkapnie mehr aufwiesen. Letztendlich kann aus den Daten dieser Publikation geschlossen werden, dass keine NIV nach Exazerbation erforderlich ist, wenn sich nach Exazerbation wieder eine Normokapnie beim Patienten einstellt.
Unklar blieb hiernach aber weiterhin die Frage, wie bei Patienten mit Persistenz der Hyperkapnie nach Exazerbation zu verfahren ist. Dieser Frage widmete sich Patrick Murphy aus der Arbeitsgruppe von Nicholas Hart aus London.7 Sie randomisierten Patienten, die mindestens 2 Wochen nach akuter Exazerbation persistierend hyperkapnisch blieben (CO2 59mmHg im Mittel) und behandelten die Kontrollgruppe alleinig mit Sauerstoff. Die Therapiegruppe erhielt dagegen zusätzlich eine nichtinvasive Beatmung. Primärer Endpunkt dieser Untersuchung war ein kombinierter Parameter aus erneuter Hospitalisierung und/oder Tod. Die Studie konnte eine Risiko halbierung für das Ereignis zeigen mit einer NNT von 6 Patienten. Somit ist klar, dass eine nichtinvasive Beatmung indiziert ist bei Persistenz der Hyperkapnie nach akuter Exazerbation.
Wie verhält sich das CO2 nach NIV-therapierter hyperkapnischer Exazerbation?
Hierbei sind zwei Prozesse zu beachten, die einen gegenläufigen Effekt auf die Entwicklung des CO2 haben. Zum Einen wird sich nach durchgemachter Exazerbation und effektiver Therapie (Steroide, Antibiotika und inhalative Bronchodilatatoren) die Lungenfunktion innerhalb der nächsten Tage und Wochen weiter verbessern. Dies führt zu einer Reduktion der atemmuskulären Last und in der Regel zu einer Verbesserung der CO2-Werte. Gegenläufig dazu hat der entlas tende Effekt, den eine nichtinvasive Beatmung für die Atem musku la tur darstellt, einen zeitlichen Verlauf, der über den Zeitraum der eigentlichen NIV-Therapie hinausgeht. So konnten Diaz8 und Petitjean9 bei Patienten mit chron. Hyperkapnie und durchgeführter nichtinvasiver Beatmung zeigen, dass nach Pausieren der nichtinvasiven Beatmung der Wiederanstieg der CO2-Werte auf das Ausgangsniveau zum Teil länger als 2 Wochen dauert.
Praktisches Vorgehen
Für die poststationäre Therapie nach akuter hyperkapnischer Exazer bation ergeben sich somit zwei mögliche Therapieansätze:
- Entlassung des Patienten ohne nichtinvasive Beatmung und zeitnahe mehrfache blutgasanalytische Kontrolle innerhalb der ersten 6 Wochen nach durchgemachter hyperkapnischer Exazerbation. Sollte sich in diesem Zeitraum keine Normokapnie eingestellt haben, kann von einer chronischen Hyperkapnie ausgegangen werden, die eine Indikation zur NIV-Wiederaufnahme darstellt.
- Fortsetzung der NIV-Therapie nach Exazerbation mit Verordnung eines NIV-Gerätes für den Patienten. Diese Therapie sollte aber mittels eines Auslassversuches hinterfragt werden. Hierzu kann vor stationärer Wiedervorstellung ein mindestens 1-wöchiger, besser 2-wöchiger Auslassversuch der NIV durchgeführt werden, um die Notwendigkeit der NIV-Therapie zu bestätigen oder zu widerlegen.
Autor
PD Dr. med. Dominic Dellweg, Chefarzt Pneumologie 1, Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft GmbH, Akademisches Lehrkrankenhaus der Philipps-Universität Marburg, Annostr. 1, 57392 Schmallenberg Grafschaf
1 Kohnlein T, Windisch W, Kohler D et al. Non-invasive positive pressure ventilation for the treatment of severe stable chronic obstructive pulmonary disease: a prospective, multicentre, randomised, controlled clinical trial. Lancet Respir Med 2014; 2: 698–705. doi:10.1016/S2213-2600(14)70153-5
2 Osadnik CR, Tee VS, Carson-Chahhoud KV et al. Non-invasive ventilation for the management of acute hypercapnic respiratory failure due to exacerbation of chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database Syst Rev 2017; 7: CD004104. doi:10.1002/14651858.CD004104.pub4
3 Ray KK, Seshasai SR, Erqou S et al. Statins and all-cause mortality in high-risk primary prevention: a meta-analysis of 11 randomized controlled trials involving 65,229 participants. Arch Intern Med 2010; 170: 1024–31 doi:10.1001/archinternmed.2010.182
4 Chu CM, Chan VL, Lin AW et al. Readmission rates and life threatening events in COPD survivors treated with non-invasive ventilation for acute hypercapnic respiratory failure. Thorax 2004; 59: 1020–25. doi:10.1136/thx.2004.024307
5 Connors AF, Jr., Dawson NV, Thomas C et al. Outcomes following acute exacerbation of severe chronic obstructive lung disease. The SUPPORT investigators (Study to Understand Prognoses and Preferences for Outcomes and Risks of Treatments). Am J Respir Crit Care Med 1996; 154: 959–67 doi:10.1164/ajrccm.154.4.8887592
6 Struik FM, Sprooten RT, Kerstjens HA et al. Nocturnal non-invasive ventilation in COPD patients with prolonged hypercapnia after ventilatory support for acute respiratory failure: a randomised, controlled, parallel-group study. Thorax 2014; 69: 826–34. doi:10.1136/thoraxjnl-2014-205126
7 Murphy PB, Rehal S, Arbane G et al. Effect of Home Noninvasive Ventilation With Oxygen Therapy vs Oxygen Therapy Alone on Hospital Readmission or Death After an Acute COPD Exacerbation: A Randomized Clinical Trial. JAMA 2017; 317: 2177–86. doi:10.1001/jama.2017.4451
8 Diaz O, Begin P, Andresen M et al. Physiological and clinical effects of diurnal noninvasive ventilation in hypercapnic COPD. Eur Respir J 2005; 26: 1016–23 doi:10.1183/09031936.05.00033905
9 Petitjean T, Philit F, Germain-Pastenne M et al. Sleep and respiratory function after withdrawal of noninvasive ventilation in patients with chronic respiratory failure. Respir Care 2008; 53: 1316–23