DOSIERUNG MIT MODELLRECHNUNG, FALLS TDM NICHT MÖGLICH IST
Bei Intensivpatienten sollte idealerweise ein therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) die Antibiotika-Therapie begleiten, bei einer kontinuierlichen Gabe ist es verpflichtend. Das rasche Erreichen therapeutischer Wirkspiegel ist wichtig und deshalb ist z. B. für Fosfomycin eine Loading Dose unter Nierenersatztherapie relevant. Modelle liefern gute Anhaltspunkte für eine korrekte Dosierung bei kontinuierlicher Gabe unter Nierenersatztherapie, sofern ihnen Daten von Intensivpatienten zugrunde liegen. Sie können eine Alternative zum TDM sein, falls dieses aus organisatorischen Gründen nicht möglich ist. Vorliegende Modell-Daten belegen für Fosfomycin aufgrund seiner hohen therapeutischen Breite eine sinnvolle Dosierung unter Multifiltrate-Dialyse von täglich 3 x 5g im Steady State. Bei der Genius-Dialyse ist zusätzlich eine Loading Dose von 8g vor der Dialyse sinnvoll. Bestätigende Modell-Berechnungen sind auch für dieses Verfahren geplant.
Für die Population der Intensivpatienten liegen allgemein nur wenige belastbare Daten zur Pharmakokinetik/-dynamik von Antibiotika vor. Bei einer Niereninsuffizienz mit nachfolgender Dialyse, die bei Intensivpatienten relativ häufig vorkommt, gibt es noch weniger Daten. „In den letzten Jahren haben wir gelernt, dass sich die Pharma kokinetik und -dynamik der Antibiotika bei kritisch kranken Patienten deutlich von denen der gesunden Patienten und Probanden unterscheidet. Das gilt für alle Antibiotika“, sagte Kindgen-Milles. Er verwies auf eine Studie zur Populationskinetik von Fosfomycin bei kritisch kranken Intensivpatienten, die eine signifikant niedrigere mittlere Clearance und ein größeres Verteilungsvolumen von Fosfomycin im Vergleich zu Probanden zeigte.1 Die Nierenfiltrationsleistung der Studienteilnehmer lag bei 30–300ml/min. Insbesondere bei jüngeren Männern könne zu Beginn der schweren Infektion durch das gesteigerte Herz zeitvolumen und die gesteigerte Filtration für 1–2 Tage eine erhöhte renale Clearance mit dem entsprechenden zu niedrigen AntibiotikaSpiegel auftreten, gab der Intensivmediziner zu bedenken.
SLEDD und kontinuierliche Dialyse
Kindgen-Milles zufolge ist die kontinuierliche Dialyse am schonendsten, aber auch am aufwändigsten. Sie werde vor allem bei den schwerstkranken Intensivpatienten im septischen Schock mit hochdosierter Katecholamintherapie und großen Volumenverschiebungen ein gesetzt. Bei Patienten mit etwas weniger schwerer Erkrankung habe sich mittlerweile auf Intensivstationen die Dialysebehandlung mit dem Genius®-Therapiesystem etabliert, ein täglich prolongiertes Dialyseverfahren (slow extended daily dialysis, SLEDD) über 5–8 Stunden als Hybridverfahren zwischen intermittierender Hämodialyse (iHD) und kontinuierlicher Dialyse. „Die Genius-Dialyse/SLEDD ist ein reines Dialyse verfahren mit variabler hoher Clearance, einer Behandlungszeit von 8, 10 oder 12 Stunden, guter Kreislaufstabilität, geringer Antikoagulation und hoher Variabilität“, so Kindgen-Milles. Zudem zeichne sich dieses Verfahren durch einen geringeren Personalbedarf, vor allem des spezialisierten Personals, einen mäßigen apparativen Aufwand und geringere Kosten aus.
Fosfomycin unter Genius-Dialyse
Klinisch relevant sind die Auswirkungen der Dialyse auf Fosfomycin. Das kleine, hydrophile Molekül weist eine gute Gewebegängigkeit auf und wird ausschließlich renal über glomeruläre Filtration eliminiert.2 „Fosfomycin ist ein bewährtes, effektives Antibiotikum bei schweren Infektionen in der Intensivmedizin. Es wird mit dem Genius-System hoch effektiv eliminiert, was von einer niedermolekularen Substanz ohne Plasma-Eiweißbindung auch zu erwarten ist“, verwies KindgenMilles auf eine prospektive Beobachtungsstudie, in der 10 Patienten mit Sepsis oder septischem Schock und schwerem akutem Nierenschaden (AKI Stadium III) teilnahmen.3 Sie erhielten täglich 3x5g i.v. Fosfomycin und wurden jeden Tag 8 Stunden lang mit einer SLEDD im Genius-System (90l) behandelt.1 Die Patienten waren im Mittel 71 Jahre alt und hatten ein mittleres Körpergewicht von 76kg. Das Erregerspektrum umfasste Staphylococcus aureus, Methicillin-resistente S. aureus (MRSA), Pseudomonas aeruginosa und Enterobacterales. Die Fosfomycin-Plasmakonzentration wurde bei 5 Patienten nach der ersten Gabe und bei 5 Patienten nach mehreren Gaben im Steady State gemessen. Der verwendete Blut- und Dialysatfluss von 190ml/min entspricht der theoretischen Clearance von nieder molekularen Substanzen. Die Fosfomycin-Clearance nahm von 152ml/min zu Beginn der SLEDD auf 43ml/min am Ende der SLEDD ab. Bei 3 der 5 Patienten mit der Messung nach der ersten Dosis fiel die Plasmakonzentration nach 4–6 Stunden unter den EUCAST-Breakpoint von 32mg/l für Enterobacterales und Staphylococcus-Spezies. Ansonsten blieb die Konzentration bei allen Patienten im Verlauf über diesem Breakpoint (Abb. 1).
Derzeit werde Fosfomycin bei klassischen Intensivpatienten mit einer Loading Dose von 8g vor der Dialyse verabreicht, gefolgt von einer Erhaltungsdosis von 3 x 5g, berichtete Kindgen-Milles. Er empfahl auch bei diesen Patienten ein TDM – mit dem Wissen, dass es in der klinischen Routine nicht immer möglich ist.
Fosfomycin unter kontinuierlicher Dialyse
„Pharmakokinetikmodelle und Dosisempfehlungen beruhen in der Regel auf Daten von Probanden oder nicht kritisch kranken Intensiv patienten“, betonte Prof. Dr. Sascha Kreuer, Homburg. Diese Daten seien nicht einfach auf Intensivpatienten mit Verschiebung der Verteilungsvolumina, verminderter Elimination bei Organdysfunktion und erhöhter Flüssigkeitsmenge im Gewebe übertragbar. Die Komplexität erhöhe sich nochmals beim Einsatz von Organersatz verfahren. Für ein Pharmakokinetikmodell der Antibiotika mit renaler Elimination bei Patienten mit Nierenersatzverfahren sind Kreuer zufolge neben dem TDM, das nicht überall verfügbar ist, weitere Lösungsansätze Pharmakokinetikstudien bei Intensivpatienten und ein Populations-Pharmakokinetik-Model (POP-PK).
Er präsentierte eine Fosfomycin-Studie mit 15 intensivmedizinischen Patienten mit einer kontinuierlichen venösen Hämodialyse (CVVHD).4 Die Patienten erhielten 3 x 5g Fosfomycin über 2 Stunden mit einer Pause von 6 Stunden. Die Patienten waren im Median 57 Jahre alt, 176cm groß und 89kg schwer. Sechs Patienten waren anurisch. Die Kreatinin-Clearance betrug 5,89 bis 210ml/min. Es wurden 2 Messreihen pro Patient mit und ohne CVVHD durchgeführt mit Blutentnahmen zur Messung des Fosfomycin-Wirkspiegels vor und bis 360 min nach Beginn der Infusion (insgesamt 300 Entnahmen). Die Auswertung habe für diese Dosierung auch unter CVVHD ausreichende Plasmaspiegel ergeben, so Kreuer. Ggf. könne auch hier die Initialdosis gesteigert werden. Die Fosfomycin-Spitzenkonzentration betrug unter CVVHD 117 ± 60µg/ml und ohne CVVHD 143 ± 55µg/ml und die Eliminationshalbwertszeit 114 min (103,5–156,5min) bzw. 570min (196–1,172min).
Fosfomycin-POP-PK-Modell
Auf Basis dieser PK-Studie mit den Daten zu unter anderem Zeit, Dosierung, Pharmakokinetik-Parameter, Gewicht, Alter sowie der inter- und intraindividuellen Variabilität stellte Kreuer ein POP-PK-Modell vor. In diesem Modell wurden verschiedene Dosierungsregime von Fosfomycin und unterschiedliche Kreatinin-Clearance-Werte über 5 Tage simuliert. Für die Dosierungen 3 x 5g über 2 Stunden alle 6 Stunden und 4 x 4g über 2 Stunden alle 4 Stunden ergaben sich in dieser Modellberechnung ausreichende Plasmakonzentrationen bei CVVHD und Eigendiurese. „Das TDM ist zwar genauer, aber nicht überall verfügbar und oft für eine aktuelle Anpassung der Antibiotika-Dosis zu langsam – mit modellierten Simulationstabellen kann eine Dosierung dagegen mit Eigendiurese und Gewicht einfach ausgewählt werden“, sagte Kreuer. „Perfekt wäre eine Kombination von beiden Methoden.“ Eine Erweiterung des POP-PK-Modells für Fosfomycin ist in Planung mit Intensivpatienten ohne Nierenersatzverfahren, anderen Dosierungskonzepten und anderen Dialyseverfahren.
TDM auf der Intensivstation
Dr. Klaus-Friedrich Bodmann, Weiden, wies ergänzend darauf hin, wie komplex die Einflussfaktoren auf die Pharmakokinetik und wie groß die Spannbreite bei Intensivpatienten sind, unter anderem aufgrund diverser Organdysfunktionen bis hin zu normaler Organfunktion, teilweise veränderter Homöostase (capillary leak syndrom), hyperdynamischer Kreislaufsituation sowie altersbedingter Veränderung der Organfunktion. Die korrekte Dosierung bei Niereninsuffizienz gemäß der Fachinformationen sei in der Routine komplex und stelle eine potenzielle Fehlerquelle dar, betonte Bodman und verwies auf verschiedene Studien. So erhöhen sowohl zu hohe, aber auch zu niedrige Plasmakonzentrationen der Antibiotika die Letalität.5, 6 Bei verschiedenen Beta-Laktamen führen schon geringgradige Änderun gen der Nierenfunktion zu einer stark veränderten Pharmakokinetik.7 Insbesondere bei Substanzen mit geringer therapeutischer Breite können zu hohe Plasmasiegel zu toxischen Nebenwirkungen führen.8, 9
Bodmann plädierte ebenfalls für ein TDM auf der Intensivstation unter Nierenersatzverfahren, da bei der Sepsis Antibiotika „früh, adäquat, hoch und möglichst kurz“ gegeben werden sollten. Von Experten panels wird daher das TDM bei erwachsenen kritisch kranken Intensivpatienten empfohlen, insbesondere für Aminoglykoside, Beta-Laktame (Penicilline, Cephalosporine, Carbapenem), Linezolid, Teicoplanin, Vancomycin und Voriconazol.10, 11 Für Fosfomycin belegen die Daten die Relevanz einer Loading Dose unter Nierenersatztherapie. Der Wirkspiegel von Fosfomycin variiere zwar auch stark unter Dialyse, aber dieses Antibiotikum habe den Vorteil der therapeutischen Breite, resümierte Brodmann.
Modelle, die wie das aufgeführte Multifiltrate-Modell (POP-PK) auf der Basis von Daten und Pharmakokinetik-Parametern von Intensiv patienten erstellt werden, liefern gute Anhaltspunkte für eine korrekte Dosierung bei diesen speziellen Patienten. Diese Modelle können verwendet werden, falls TDM aus organisatorischen Gründen (noch) nicht oder nur eingeschränkt verfügbar ist.
(awa)
Quelle: Symposium „Antibiotikadosierung unter Nierenersatzverfahren: Stellenwert von TDM auf der Intensivstation“ im Rahmen des 21. Kongresses der Deutschen Interdisziplinären Intensiv- und Notfallmedizin e.V. DIVI21virtuell. Sponsor: InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH.
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1 Parker S, Frantzeskaki F, Wallis SC et al. AAC 2015; 59(19): 6471–6
2 Roussos N et al. Int J Antimicrob Agents 2009; 34(6): 506–15. DOI: 10.1016/ j.ijantimicag.2009.08.013
3 Dimski T, Brandenburger T, Janczyk M et al. Scientific Reports 2021; 11: 12032
4 Data on File
5 Roberts JA et al. Clin Infect Dis 2021; 72(8): 1369–78
6 Scharf C et al. J Intensiv Care 2020; 8(1): 86. DOI: 10.1186/s40560-020-00504-w
7 Awad SS, Rodriguez AH 2, Chuang YC et al. Clin Infect Dis 2014; 59(1): 51–61
8 Imani S. et al. J Antimicrob Chemother 2017; 72: 2891–7
9 https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/ 2018/rhb-maxipime.html
10 Abdul-Aziz MH, Alffenaar JWC, Bassetti M et al. Intensive Care Med 2020; 1–27. DOI: 10.1007%2Fs00134-020-06050-1
11 Antonello RM et al. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2021; 40: 1117–26