Etwa 10–15% der Bevölkerung gelten hierzulande als Reizdarm (RDS)-Patienten. Ihr Leiden wird dabei von einem eklatanten Versorgungsdefizit verstärkt: „Etwa drei Viertel der Betroffenen bekommen keine Behandlung und die korrekte Diagnose wird entweder zu selten oder zu spät gestellt“, warnte 2022 bereits S3-RDS-Leitlinienautor Prof. Dr. Ahmed Madisch, Centrum Gastroenterologie Bethanien, Frankfurt.1 Vor diesem Defizit erscheint ein tieferer diagnostischer Blick in den Gastrointestinaltrakt die aktuell adäquate Empfehlung zu sein, denn: „Wir gehen davon aus, dass mindestens 70% der Patienten mit Reizdarm-Syndrom eine Störung der Darmbarriere aufweisen“2, erklärt Gastroenterologe Prof. Dr. Jost Langhorst, S3-RDS-LL-Autor, Sozialstiftung Bamberg. Von gleichen Erfahrungen berichtet Dr. Marc Werner, Direktor der Klinik für Naturheilkunde & Integrative Medizin, Kliniken Essen-Mitte. „Bei ca. 70% der Patienten mit Reizdarm findet sich auch ein Leaky-Gut.3

Vor der Therapie steht die Diag­no­­se. Hier bietet sich die derzeit modernste Darmbarriere-Diag­no­setechnik an, die bis dato deutsch­landweit ausschließlich an 13 gas­troenterologischen Zentren4 durchgeführt wird:

High-Tech-Darm-Screening

Unter Einsatz der konfokalen Laser-Endomikroskopie (KLE) können Gastroenterologen in 1.000-facher Vergrößerung exakt diag­nostizieren, ob eine Störung der Darmbarriere vorliegt (Abb. 1). Daher erscheint eine Ausweitung dieser präzi­sen Medizintechnik sinnvoll, um sukzessive einen diagnostischen Paradigmenwechsel in Richtung KLE zu forcieren – auch unter der Prämisse, dass „der am besten gesicherte gemeinsame Nenner, der vermutlich sämtliche der unterschiedlichen Reizdarm-Symptome triggert oder verstärkt, eine Barrierestörung in der Darmschleimhaut ist“, so Gastroenterologe Prof. Peter Layer, Koordinator der neuen S3-RDS-LL:5

Darmbarriere-Konsens 2022

Bereits im März 2022 diskutierten sechs gastroenterologische Spezialisten aus Klinik, Praxis und Wissenschaft in Frankfurt a. M. den Stellenwert der Darmbarriere bei verschiedenen Erkrankungen und ihre aktuellen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Der Konsens: Heute wird nicht nur eine Vielzahl von Darmfunktionsstörungen und -erkrankungen wie das Reizdarmsyndrom (RDS), chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED), Zöliakie oder Nahrungsmittelallergien mit einer beeinträchtigten Darmbarriere assoziiert – auch extraintestinale Erkrankungen wie Migräne oder entzündliche Dermatosen korrelieren häufig damit.

Therapeutisches Target Darmbarriere

Im Fokus der Therapie stehe aktuell die leitlinienkonforme Linderung von Symptomen der jeweils vorliegenden Darmerkrankung. Eine erkannte Darmbarriere-Schädigung könne jedoch den Therapieverlauf oder auch die Auswahl des Therapeutikums beeinflussen, da die zugrundeliegende Permeabilitätsstörung symptomrelevant sein kann. Zu den aktuell verfügbaren barriereprotektiven Therapiekonzepten gehören laut Expertenrunde sowohl darmstabilisierende6, 7, antiinflammatorische8–11 und gleichzeitig symptomlindernde Phytophar­ma­ka wie z. B. Myrrhinil-Intest (Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle) sowie Probiotika, Zink und Vitamin D.

Aufgrund kontinuierlich wachsender Relevanz wird auch an deutschen Forschungseinrichtungen seit vielen Jahren zur Darmbarriere geforscht.12

Bild: Mauna Kea Technologies

Abb. 1: Plattform für zelluläre Echtzeit-In-vivo-Bildgebung: Konfokale Laser-Endomikroskopie (KLE) zur mikroskopischen Visualisierung der Mukosa.

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1​ Phytotherapie nicht zu kurz anwenden, Pharmazeutische Zeitung, 04.02.2022
2 Leaky-Gut-Syndrom – eine Ursache für Reizdarm, BR, 23.09.2022
3 Durchfall, Schmerzen, Erschöpfung – was die Diagnose Leaky-Gut-Syndrom bedeutet, BILD+, 13.08.2023
4 Eine Übersicht der 13 KLE-Kliniken finden Sie hier am Ende des Beitrags
5 Ständig so ein mieses Bauchgefühl, ZEIT online, 26.9.20
6 Rosenthal R, Luettig J et al. Int J Colorectal Dis 2017; 32(5): 623–34. DOI: 10.1007/s00384-016-2736-x
7 Weber L, Kuck K et al. Biomolecules 2020; 10(7): 1033. DOI: 10.3390/biom10071033
8 Schiller L, Mahdi DH et al. Molecules 2019; 24(23), 4263; DOI: 10.3390/molecules24234263
9 Vissiennon C, Goos KH et al. Wien Med Wochenschr 2017; 167(7-8):169-176. DOI: 10.1007/s10354-016-0538-y
10 Vissiennon C, Hammoud D et al. Planta Med 2017; 83(10): 846–54. DOI: 10.1055/s-0043-104391
11 Kuck K, Jürgenliemk G et al. Molecules 2021; 42: 26(1): 42. DOI: 10.3390/molecules26010042
12 idw (Informationsdienst Wissenschaft); Suchbegriff „Darmbarriere“, abgerufen am 07.09.2023